Naturwald Fauler Ort - Foto: Johannes Enssle
Hessen – Land der Naturwälder
NABU setzt sich für eine natürliche Waldentwicklung ein
Naturwälder sind seit langem aus Deutschland verschwunden. Aus einigen Urwald-Resten in Osteuropa wissen wir, dass sie ein großer Schatz sind. Sowohl für die Natur als auch für die Menschen, die sie erleben dürfen. Hessen hat in den letzten Jahren viele Wälder und Waldstücke ausgewählt, in denen künftig keine forstwirtschaftliche Nutzung mehr stattfindet. Diese nehmen inzwischen 3,8 Prozent der hessischen Waldfläche ein (31.900 Hektar). Schon seit 1989 ist es ein bundespolitisches Ziel, auf 5 Prozent der Waldfläche eine Naturwald-Entwicklung zu erreichen. 2007 fand dieses Ziel Eingang in die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt und 2016 auch in die Hessische Biodiversitätsstrategie.
Wir brauchen solche natürlichen Wälder, weil in den bewirtschafteten Wäldern die charakteristischen Arten der reifen, alten Wälder fehlen. Ihnen kann auch nicht ausreichend mit einigen sogenannten „Habitatbäumen“, die stehengelassen werden, geholfen werden. Denn die charakteristischen Waldarten sind verwöhnt: Weil früher fast ganz Deutschland bewaldet war, sind viele dieser Arten wenig mobil. Sie brauchten niemals lange Wege zurück zu legen, um neuen Lebensraum zu finden. Oft liegt ihre Ausbreitungsfähigkeit nur bei 500 bis 1000 Metern.
Viele Tiere brauchen alte Bäume
Waldschutzgebiete für biologische Vielfalt
In heutigen Wirtschaftswäldern können auch eingestreute alte Habitatbäume keine Garantie dafür bieten, dass genau zum Zeitpunkt des Verlustes eines Habitats, z. B. durch einen Sturm, oder eine Insektenkalamität, sofort und in unmittelbarer Nachbarschaft ein Ersatz-Lebensraum zur Verfügung steht. Denn die Ansprüche dieser seltenen Waldarten sind sehr spezifisch: Sie verlangen spezielle Naturwaldstrukturen wie Ast- oder Spechthöhlen, Blitzrinnen, Abgeblätterte Borke, bestimmte Pilze, Wurzelhalshöhlen oder andere, und zwar in ausreichender Dichte. Eine wirkliche Lebensraum-Kontinuität können nur große Waldschutzgebiete aufweisen, in denen auf Dauer keine Holznutzung stattfindet. In diesen Urwäldern von morgen können die Tiere, Pflanzen und Pilze künftig zuverlässig die Strukturen finden, die ihnen die Natur über Hunderttausende von Jahren zuvor geboten hat.
Der NABU Hessen hat bereits 1994 insgesamt 37 „Waldschutzgebiete – Urwald von morgen“ vorgeschlagen, die eine natürliche Entwicklung auf 5 Prozent der Landesfläche ermöglichen würden. Davon sind 23 Naturwälder (über 100 Hektar Größe) inzwischen umgesetzt, 19 weitere Naturwälder an anderer Stelle in Hessen.
Einige Waldtypen fehlen noch
Das Naturwald-Ziel in Hessen muss daher in einer vierten Kernflächen-Tranche mit rund 8 weiteren Gebieten dieser Größe vollendet werden. Dabei ist das Land in der Pflicht, dieses Ziel in seinem Staatswald umzusetzen. Denn der Staatswaldanteil in Hessen ist höher als in vielen anderen Ländern. Und nur hier lassen sich große Waldschutzgebiete umsetzen.
Das System aus Naturwäldern sollte alle verschiedenen Waldtypen in Hessen repräsentieren. Das ist bisher nicht gewährleistet.
Es fehlen vor allem Eichen-Mischwälder, Wälder auf nährstoffreichen Böden im Flachland, montane Buchenwälder verschiedener Gesteins-Untergründe und ein Auwald am Rhein. Diese Wälder müssen noch als Naturwälder geschützt werden.
Verbände fordern gemeinsam neue Waldschutzgebiete für Hessen
Die Naturschutzorganisationen NABU Hessen, BUND Hessen, HGON, ZGF, Greenpeace und WWF Deutschland haben 2018 eine Broschüre mit konkreten Vorschlägen für 25 große Waldschutzgebiete in allen Landesteilen Hessens vorgelegt. Da bisher nur ein Teil umgesetzt wurde, ist die Broschüre nach wie vor aktuell.
Sicherung aller Naturwälder als Naturschutzgebiete
Bisher wurde der Verzicht auf weitere Baum-Fällungen in den Kernflächen als freiwillige Leistung im Forsteinrichtungswerk vermerkt. Der Landesbetrieb Hessen-Forst erhält dafür jährlich 3,5 Millionen Euro Ausgleichszahlung vom Land. Für eine langfristige Sicherung ist aber eine Ausweisung als Naturschutzgebiete notwendig. Erst dann sind auch alle vorkommenden Arten geschützt. In der Koalitionsvereinbarung wurde eine rechtliche Sicherung zumindest für die über 100 Hektar großen Gebiete versprochen. Ewigkeitsprojekte verlangen eine naturschutzrechtliche Sicherung! Der NABU fordert daher die Ausweisung von 20 neuen Naturschutzgebieten und die (räumliche und/oder inhaltliche) Ausweitung von 15 bestehenden Naturschutzgebieten.
Erfolgskontrolle
Für eine Dokumentation der langsamen Entwicklung in Richtung eines natürlichen Waldes ist ein Monitoring wünschenswert: Eine Erfassung des Istzustandes bestimmter Artengruppen, für die wir besondere Verbesserungen erwarten, ist notwendig. Dazu gehören die Pilzarten, Flechten, Holzkäfer, Moose und Brutvögel. Auch die Kartierung der Dichte von typischen Naturwald-Strukturen kann gut die Entwicklung der Wälder dokumentieren. Aufbauend auf dieser Inventarisierung kann in einigen Jahrzehnten verglichen werden, wie sich die Lebensbedingungen verändert haben.
Management
Alle großen Naturwälder brauchen einen Entwicklungsplan. Dabei muss der Grundsatz gelten: So wenig menschliche Eingriffe wie möglich und befristet für einen Übergangszeitraum von maximal 10 Jahren. In dieser Zeit können lenkende Maßnahmen noch sinnvoll sein, um die Startbedingungen zur Entwicklung eines natürlichen Waldes zu verbessern. Dazu können eine Entnahme von Rohrverbauungen bei Bächen, Öffnung von Quellen, die Herausnahme von gebietsfremden Douglasien auf Standorten, wo sie invasiv ist, oder die Freistellung einzelner Lichtbaumarten gehören. Spätestens nach 10 Jahren muss aber Ruhe in das Gebiet einkehren, denn es sollen in den Naturwäldern nur natürliche Prozesse ablaufen. Es sollen auch keine Einzelmaßnahmen zum Schutz bestimmter Arten oder Lebensräume erfolgen, wenn es möglich ist, diese in anderen Wäldern Hessens zu schützen oder zu fördern. Denn auch Pflegemaßnahmen bringen Störungen mit sich und verlangen den Erhalt von Forststraßen im Naturwald.
Gegner natürlicher Waldentwicklung
Dass der Ausweisungsprozess der Naturwälder nun schon 30 Jahre dauert liegt daran, dass es seit vielen Jahren leider einige vehemente Bremser auf Seiten der Forstwirtschaft gibt, die natürliche Wälder grundsätzlich ablehnen und auf die Fällung der alten Bäume bestehen. Dabei werden abstruse, scheinbare „Fach-Argumente“ bemüht, wie Klimaschutz und Artenschutz. In unserer FAQ-Liste gehen wir kurz darauf ein (ausführlicher in den Fachartikeln oben).
Nur ein kleiner Teil der Wälder in Deutschland sind der freien Entwicklung überlassen. Dabei haben solche Wälder eine hohe Bedeutung: zum Beispiel für den Klimaschutz und die biologische Vielfalt. Das Projekt SpeicherWald klärte über diese Erkenntnisse auf. Mehr →
Da sie große Mengen Kohlenstoff speichern, sind Wälder ein wichtiger Faktor, um dem globalen Klimawandel entgegenzuwirken. Doch auch sie sind vom Klimawandel betroffen: Veränderte Wetterbedingungen stellen sie vor große Herausforderungen. Mehr →
Fünf Prozent des deutschen Waldes sollten als „Urwälder von morgen“ entwickelt werden. Doch um dieses Ziel zu erreichen, müssen etwa 225.000 Hektar aus der Nutzung herausgenommen werden, damit sie sich frei entwickeln können. Mehr →
Angesichts der Debatte um einen dauerhaften Nutzungsverzicht von Wäldern hat der NABU ein eigenes Konzept zur Schaffung von „Urwäldern von morgen“ vorgelegt: Zum Erhalt der biologischen Vielfalt brauchen wir dringend mehr gut vernetzte Wildnisgebiete. Mehr →