Viele Gewinnungsstätten bieten dem Uhu sichere Brutplätze an Felswänden - Foto: Christoph Bosch
Wenn der Baggerfahrer der Unke lauscht
Erfolgreicher Artenschutz in aktiven Betrieben zur Rohstoffgewinnung





Rohstoffgewinnung und Artenschutz können mit den richtigen Absprachen problemlos unmittelbar nebeneinander funktionieren. - Foto: Dominik Heinz
Dynamischer Lebensraum auf Zeit

Verteilung der Kreuzkrötenvorkommen nach Standorten in Hessen gemäß Gutachten des HLNUG von 2019-2021 (Foto der Kreuzkröte: Tania Araujo/Getty Images)
Viele der in Steinbrüchen, Kies- oder Sandgruben vorzufindenden Tier- und Pflanzenarten haben ihren natürlichen Lebensraum in den Flussauen unserer Flüsse und Bäche. Die hohe Dynamik des Wassers sorgt dort für ständige Veränderung (Störungen) und schafft immer wieder neue Lebensräume, die nur zeitlich begrenzt existieren, um sich dann wieder zu verändern. Solche dynamischen Flusslandschaften sind aufgrund unseres Eingreifens in der Natur allerdings kaum noch zu finden. In aktiven Steinbrüchen entstehen diese besonderen, zeitlich begrenzt existierenden Lebensräume im Rahmen der Rohstoffgewinnung häufig automatisch, was sie zu einem wichtigen Rettungsanker für bedrohte Arten in unserer Landschaft macht.
Manche der dokumentierten Arten (wie etwa die Kreuzkröte oder die Geburtshelferkröte) kommen in Hessen sogar fast ausschließlich nur noch in aktiven Gewinnungsstätten vor. Wird die Rohstoffgewinnung eingestellt, so müssen diese elementaren “Störungen” über Pflegemaßnahmen simuliert werden, um die bedrohten Arten auf der Fläche halten zu können. Hier kommt dann häufig der Naturschutz unter anderem durch die NABU-Stiftung Hessisches Naturerbe ins Spiel, um die Flächen für die selten gewordene Arten nicht zu verlieren.
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Der Großer Blaupfeil bevorzugt Gewässer mit Sand- oder Kiesufern, die auch geschützte und sonnige Stellen aufweisen. - Foto: Monika Povel
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Die Gelbbauchunke ist besonders stark auf temopäre Gewässer angewiesen. - Foto: Dominik Heinz
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Bienenfresser profitieren von den offenen Sandsteilwänden als Brutplatz. - Foto: Frank Derer
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Als Meister der Tarnung ist die Blauflügelige Ödlandschrecke oft nur schwer zu entdecken. - Foto: Frank Derer
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Auch der Wanderfalke nutzt gerne die felsigen Steilwände in den Gewinnungsstätten. - Foto: NABU/Antje Schultner
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Geburtshelferkröten sind häufige Bewohner der Gewinnungsstätten und nutzen die vielen Gewässer zur Fortpflanzung. - Foto: Christian Fischer
Naturschutz und Rohstoffgewinnung als Partner für die Vielfalt

Die große Dynamik der Gewinnungsstätten schafft eine große Vielfalt an Biotopen. Gerade die Verfügbarkeit von nährstoffarmen Rohböden und offenen Bereichen ist für viele Tier- und Pflanzenarten von Bedeutung. - Foto: Dominik Heinz
Der NABU Hessen arbeitet seit 2012 mit mehreren Partnern aus der Rohstoffgewinnungs-Branche zusammen. Ziel dieser Kooperationen ist es, die in den Gewinnungsstätten vorkommenden seltenen Arten zu erhalten und weiter zu fördern, sowie den Artenschutz in den regulären Betriebsablauf zu integrieren. Dabei sind insbesondere die Gewinnungsflächen der Gesteinsindustrie hinsichtlich ihrer Dimensionen gut als Ersatzlebensraum vieler Pionierarten geeignet, da sie in der Regel groß genug sind, um stets zeitgleich sowohl aktive, als auch ruhende Bereiche aufzuweisen. Je nachdem wie lange diese Bereiche bereits ruhen, sind sie mit unterschiedlichen Pflanzenarten besiedelt (Sukzession) und bieten so ganz unterschiedliche Bedingungen für ihre Bewohner.
Da die Betriebsflächen zudem in der Regel nicht öffentlich zugänglich sind, sind sie - so paradox es auf den ersten Blick scheinen mag - abgesehen von der Abbautätigkeit oft deutlich weniger menschlichen Störungen wie Verkehr, Naherholungsdruck oder Stoffeintrag durch Dünger und Pestizide ausgesetzt, als die sie umgebende Landschaft. Denn in den Gewinnungsstätten sind oft nur wenige Maschinen unterwegs, so dass die Natur die meiste Zeit ungestört bleibt. Ideale Bedingungen also, um bedrohten Arten einen sicheren Hafen zu bieten.
Diese Kooperation ist ein großartiges Beispiel, wie durch einen konstruktiven Dialog, statt der so häufig im Vordergrund stehenden Konfrontation bei der Rohstoffgewinnung gemeinsam und langfristig große Verbesserungen für den Artenschutz erreicht werden können. Dass sich die Unternehmensgruppen freiwillig zum Artenschutz bekennen und diesen im laufenden Betrieb integrieren, ist vorbildlich und unglaublich wertvoll.
Maik Sommerhage, Landesvorsitzender des NABU Hessen
Aktuell gibt es beim NABU Hessen Kooperationen mit der Mitteldeutschen Hartstein-Industrie AG, Heidelberg Materials in Zusammenarbeit mit der TH Bingen und Röhrig Granit.
Rohstoffgewinnung und Nachhaltigkeit
Rohstoffgewinnung und Naturschutz bilden ein scheinbar komplexes Thema, das viele vermeintliche Gegensätze beinhaltet. Gerade wenn es um Neuerschließungen geht, klaffen die Vorstellungen oft weit auseinander. In diesen Fällen muss unbestritten Rücksicht auf wertvolle Lebensräume und seltene Arten genommen werden und die Eingriffe sind so gering wie möglich zu halten.
Auf ökologisch weniger bedeutsamen Flächen kann es manchmal erst durch die aktive Rohstoffgewinnung zum Entstehen von für bedrohte Arten dringend benötigtem Lebensraum kommen. Die Verluste der Flächen durch die Nutzung müssen also auch immer objektiv gegen die möglichen Gewinne für den Arten- und Klimaschutz aufgewogen werden. Zwar stellt die Gewinnung von Kies, Sand und Naturstein immer einen enormen Eingriff in die Natur dar und verändert diese. Diese sichtbaren Eingriffe in die Landschaft sind aber nicht die einzigen Auswirkungen der Rohstoffgewinnung. Denn findet der Abbau nicht regional statt, dann ist dies meistens weder ökologisch noch ökonomisch nachhaltig, da die in großen Mengen benötigten und sehr schweren Rohstoffe dann über unnötig lange Transportwege hohe Emissionen und Kosten verursachen würden, neben anderen negativen Effekten wie Versorgungsunsicherheit und sozialen Auswirkungen fehlender lokaler Wertschöpfung. Der Nutzung lokaler Rohstoffvorkommen kommt mit Blick auf mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz also eine immer größer werdende gesellschaftliche Bedeutung zu.
Zusammenarbeit verändert Blickwinkel

Im laufenden Betrieb werden immer wieder Artenschutzmaßnahmen wie die Anlage von Amphibiengewässern eingeplant. - Foto: Kristin Geisler
Das Bewusstsein für die eigene Verantwortung und der Wille zur Einbeziehung des Naturschutzes sind in den Partnerbetrieben oftmals bereits Bestandteil der Unternehmensleitlinien und werden intern aktiv gefördert. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die benötigte Fachkenntnis für den Artenschutz oft zusätzlich über eine externe Beratung eingeholt werden muss.
Daher werden die Mitarbeiter*innen der Gewinnungsbetriebe im Zuge der Kooperation für die Ansprüche und Gefährdungen der verschiedenen Arten sensibilisiert und können so ein Auge dafür entwickeln, welche Artenvielfalt sich auf ihrem Betriebsgelände finden lässt und wo evtl. sensible Bereiche entstehen, die im Betriebsablauf geschützt und gefördert werden müssen. Neben den Mitarbeiter*innen des NABU-Landesverbandes stehen die ehrenamtlichen NABU-Steinbruchbetreuer*innen den Mitarbeiter*innen der Partnerbetriebe vor Ort als direkte Ansprechpartner zur Verfügung.
Es ist schön zu sehen, wie durch die Kooperation das Verantwortungsgefühl für den Artenschutz in den Betrieben wächst und sich Wirtschaft und Naturschutz nicht gegenseitig im Weg stehen, sondern ein gemeinsames Ziel verfolgen. Durch die enge Zusammenarbeit wachsen Verständnis, Vertrauen und Wertschätzung auf beiden Seiten - ein tolles Beispiel für eine nachhaltige Entwicklung!
Kai Guckes, Projektleiter Artenschutz in Abbaugebieten
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Bei den regelmäßig stattfindenden Treffen wird die Artenkenntnis der Ehrenamtlichen und Mitarbeitenden der Betriebe geschult. - Foto: Kristin Geisler
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Die Zusammenarbeit findet auf mehreren Ebenen statt, auch durch gemeinsame Forderungen an die Politik. - Foto: Hartmut Mai
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Regelmäßige Erfassungen der auf den Flächen vorkommenden Arten sind ein wichtiger Bestandteil der fachlichen Begleitung. - Foto: Hartmut Mai
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Mit vor Fressfeinden geschützten Aluwannen werden künstliche Laichgewässer für Gelbbauchunken bereitgestellt. - Foto: Kai Guckes
Die öffentliche Wahrnehmung ist durch sehr wenige pressewirksame Fälle von größerem Flächenanspruch und Konflikten bei der Rohstoffgewinnung häufig negativ besetzt. Dies wird der Thematik jedoch überhaupt nicht gerecht. Vor, während und nach der Rohstoffgewinnung gibt es auf unseren Gewinnungsflächen viel Raum für Natur und Artenvielfalt. Uns ist es ein Anliegen, mit diesem Geschenk der Natur bewusst umzugehen, die Bedingungen zu bewahren und dort, wo es sinnvoll ist, gezielt zu verbessern.
Christoph Hagemeier, Sprecher des Vorstands der Mitteldeutsche Hartstein-Industrie AG
Artenvielfalt, die sich sehen lassen kann

Zwergtaucher werden außerhalb der Gewinnungsstätten zunehmend durch Freizeitnutzung bei ihrem Brutgeschäft gestört. - Foto: Ronny Hartwich/NABU|naturgucker.de
Bei den Begehungen im Laufe des Projektes wurden bereits mehr als 1.800 Artbeobachtungen dokumentiert. Insgesamt handelt es sich dabei um 320 verschiedene Tier- und Pflanzenarten. In den überwiegenden Fällen handelt es sich dabei um Vögel, Amphibien und Insekten, welche die ökologischen Besonderheiten der heimischen Rohstoffgewinnungsbetriebe als Rückzugsgebiet und Lebensraum nutzen. In den Steinbrüchen wurden Maßnahmen zum aktiven Artenschutz wie das Aufhängen von Nistkästen und das Herrichten alter Stollen- und Bunkeranlagen als Fledermausquartier, aber auch die gezielte Neuanlage von über 100 Kleinstgewässern umgesetzt. Durch diese Maßnahmen konnten die Lebensraumbedingungen für bedrohte Arten wie z.B. Fledermäuse, Wechselkröten, Gelbbauchunken, Flussregenpfeifer, Zwergtaucher, Uferschwalbe und Uhu, aber auch Insektenarten wie den Dünen Sandlaufkäfer, zahlreiche Schmetterlinge, Heuschrecken wie der Blaufügeligen Ödlandschrecke und Libellen wie die Blaugrüne Mosaikjungfer optimiert und gesichert werden.
ARTENVIELFALT IN HESSISCHEN GEWINNUNGSSTÄTTEN
Sie ist oben braun und unten gelb, hüpft in alten Steinbrüchen herum und liebt matschige Pfützen – die Gelbbauchunke. Mit einem sechsjährigen Artenschutz-Projekt will der NABU den Rückgang der selten gewordenen und gefährdeten Amphibie in Hessen stoppen. Mehr →
Aufgegebene Abbauflächen haben ein enormes Potential Arten, die in unserer intensiv genutzten Landschaft keinen Raum mehr finden, eine optimale Heimat zu bieten. Der Galgenberg ist so ein artenreicher Rohdiamant in der Entwicklung. Mehr →
KOOPERATIONEN ANDERER NABU-LANDESVERBÄNDE
Um naturschutzrechtliche Auflagen zu umgehen, versuchen manche Betriebe zu verhindern, dass sich geschützte Arten in Abbaustätten ansiedeln. Eine Initiative von Bundesverband Mineralische Rohstoffe (MIRO), Dachverband der deutschen Baustoff-, Steine-und-Erden-Industrie (bbs) und NABU soll nun Wege für eine Natur auf Zeit aufzeigen. Mehr →
Sowohl die Rohstoffgewinnung als auch der Naturschutz haben in Rheinland-Pfalz große Bedeutung und lange Tradition. Zunehmend hat sich auch die Erkenntnis durchgesetzt, dass die beiden nicht zwangsläufig gegensätzliche Vorhaben darstellen. Mehr →
Wer kennt nicht den trostlosen Anblick von Steinbrüchen? Andererseits entdeckt man auch immer wieder alte Steinbrüche, die ein Paradies für Tiere und Pflanzen sind. Rohstoffabbau und Naturschutz - ein komplexes Thema, das viele Gegensätze beinhaltet. Mehr →
Artenschutz und die Gewinnung von Kies, Sand und Steinen, dass das gut zusammen passen kann, zeigt eine Initiative Biologischer Stationen, des NABU NRW und des Baustoffverbandes vero. Nun wurden die ersten „amphibienfreundlichen Betriebe“ ausgezeichnet. Mehr →