Naturwälder sind reich an Strukturen die vielen Tier- und Pflanzenarten einen Lebensraum bieten - Foto: Mark Hartun
FAQ - Naturwald
Gute Gründe für mehr Naturwälder
Was macht Naturwälder aus?
Naturwald? Ist Wald nicht immer Natur? Wo liegt denn der Unterschied zum Wirtschaftswald?
Der Wald in Deutschland ist zu 100% eine Kulturlandschaft. Alle Urwälder wurden durch den hohen Holzbedarf spätestens im Mittelalter zerstört. Alle heutigen Wälder werden gepflanzt, gepflegt und irgendwann geerntet, wenn sie nicht unter Schutz gestellt wurden. Im Wirtschaftswald fehlt die zweite Lebenshälfte der Bäume, weil Buchen schon mit 120-140 Jahren, Eichen mit 180-240 Jahren, gefällt werden. Auch findet im Forst die Verjüngung/Neugründung eines Waldes sehr viel schneller statt, als in der Natur. Als Folge fehlen ausgerechnet die lichten Waldphasen der Pionierphase und der Zerfallsphase. In den „gepflegten“ Wirtschaftswäldern mit ihren vergleichsweise jungen Bäumen, findet man 50 naturwaldtypische Strukturen (Baumhöhlen, Blitzrinnen, Risse, Totholz, Baumpilze u. a.) pro Hektar, während es im Naturwald 250 bis 300 (– also 5 bis 6 Mal so viele) sind. Viele Tier-, Pilz- und Pflanzenarten sind genau auf diesen Strukturreichtum angewiesen und verschwinden ohne ihn.
Werden Naturwälder wirklich stillgelegt?
Nein. In Naturwäldern wird nur auf die Holznutzung verzichtet – von „Stilllegung“ kann aber keine Rede sein. Denn das ursprüngliche Leben im Wald blüht erst richtig auf, wenn nicht mehr der Mensch regiert, sondern die Natur. Naturschutz, Erholung oder Bodenschutz stehen im Vordergrund. Es gibt auch kein Betretungsverbot für Naturwälder. Der Mensch ist ausdrücklich dazu eingeladen, Naturwälder zu erleben. Insbesondere die großen Gebiete eignen sich hervorragend, um wilde Natur zu entdecken. Naturwälder sind wunderschön und abwechslungsreich. Von alten knorrigen, bizarren Baumgestalten auf steinigen Standorten bis zu gewaltigen, dicken Baumriesen auf nährstoffreichen Böden sind sie auch ästhetisch eine Bereicherung für Besucher. Krumm gewachsene oder abgestorbene Bäume und Fallholz verstärken den Eindruck von Wildnis. Damit bieten Naturwälder ein besonderes Erlebnis für Erholungssuchende.
Naturwälder: Gewinn für die Artenvielfalt, aber Verlust für den Menschen?
Nein! Denn mit dem Verzicht auf eine forstwirtschaftliche Nutzung eines Waldes gewinnt der Mensch mehr, als er aufgibt. Wälder sind nicht nur Rohstofflieferanten, sie haben einen unschätzbaren Wert für die Allgemeinheit, indem sie zum Beispiel unser Klima, das Grundwasser und den Boden schützen. Aber abgesehen von ihrer ökologischen Bedeutung sind Wälder für uns auch auf andere Weise wichtig:
Naturwälder sind wunderschön und abwechslungsreich. Von alten knorrigen, bizarren Baumgestalten auf steinigen Standorten bis zu gewaltigen, dicken Baumriesen auf nährstoffreichen Böden sind sie auch ästhetisch eine Bereicherung für Besucher. Baumriesen wecken bei Besuchern die Ehrfurcht und Achtung vor der Natur. Damit bieten Naturwälder nicht nur ein besonderes Erlebnis für Erholungssuchende. In Naturwäldern können Besuchern über Angebote der Natur- und Wildnispädagogik natürliche Prozesse und Zusammenhänge ganz anders vermittelt werden, als in einem nüchternen Wirtschaftswald.
Warum sind besonders alte und dicke Bäume in Naturwäldern so wertvoll?
Baumriesen wecken bei Besuchern die Ehrfurcht und Achtung vor der Natur. Im bewirtschafteten Wald werden Buchen schon mit einer Zielstärke von 60 Zentimetern im Alter von 110-130 Jahren gefällt. In Naturwäldern dürfen Bäume uralt werden. Im Naturwald „Fauler Ort“ zum Beispiel, misst die dickste Buche 153 Zentimeter! Sie können eine Höhe von 50 Metern erreichen. Arten wie Schwarzspecht oder die Bechsteinfledermaus bevorzugen besonders dicke Bäume. Ihre Höhlen bieten frostfreie Quartiere. Nur große Bäume können auch über viele Jahre schwere Horste von Schwarzstörchen oder Greifvögeln tragen.
Ist Wildnis in einer Kulturlandschaft wie Mitteleuropa überhaupt erreichbar?
Ja, und sie ist ein großer Gewinn: Millionen Bürger wollen jährlich die freie Naturentwicklung in den deutschen Nationalparken erleben. Für die Entwicklung eines Wildnis-Charakters müssen die Waldgebiete aber mindestens 1000 Hektar groß sein. Es verpflichtet uns eine Verantwortung gegenüber der Welt und auch gegenüber nachfolgenden Generationen zur Entwicklung von natürlichen Rotbuchenwäldern. So, wie wir erwarten, dass die nordischen Staaten die Natur der Arktis und die afrikanischen Staaten Löwen, Gorillas oder Elefanten in riesigen Schutzgebieten schützen, so wird von uns erwartet, dass wir unsere Naturwälder bewahren. Fünf Prozent pure Waldnatur sind unser Mindestbeitrag. Das ist im internationalen Vergleich sehr wenig. Günstig ist auch, dass unsere Buchenwälder „verzeihende“ Ökosysteme sind: Anders als in den Tropen können sich in wenigen hundert Jahren wieder urwaldähnliche Strukturen und mit den typischen Arten entwickeln.
Stimmt es, dass in Wirtschaftswäldern mehr Arten vorkommen als in Naturwäldern?
Ja und nein: In Naturwäldern sind es vor allem die Waldspezialisten, die wesentlich häufiger vorkommen. Naturwälder bieten im Laufe ihrer wechselnden Waldphasen Lebensraum für viele Arten, die im Wirtschaftswald keine Überlebenschance haben. In Wirtschaftswäldern findet man durch Holzeinschläge und Wegebau allerdings zahlreiche „Allewelts-Arten“ oder Offenlandarten, die eigentlich gar nicht in den Wald gehören und auch nicht bedroht sind. Tatsächlich dauert es viele Jahrzehnte, bis sich im Naturwald eine Urwaldstruktur mit ihren großen Unterschieden zum bewirtschafteten Wald herausbildet. Erst dann kann er sein volles Potential für den Artenreichtum entfalten.
Oft wird angeführt, dass in Naturwäldern ohne regulierende menschliche Eingriffe sie sogenannten Lichtbaumarten durch dunkle Buchenwälder verdrängt werden würden. Warum das nicht der Fall ist, können Sie in unserem Hintergundpapier nachlesen.
Lassen sich seltene Arten nicht auch durch einzelne Biotopbäume schützen?
Im Wirtschaftswald können an einzelnen alten Bäumen auch Raritäten auftreten, jedoch nicht in großen Individuenzahlen. Entscheidend für das dauerhafte Überleben von Arten ist aber ein ausreichend großer Bestand. Auch die Ausbreitung von Arten in benachbarte Waldgebiete ist nur zu erwarten, wenn es lokal genügend große Bestände für eine Abwanderung gibt.
Auch reicht der z. B. Schutz eines einzelnen Höhlenbaums für Bechsteinfledermäuse nicht, wenn dort eine große Wochenstube ihr Quartier hat. Denn eine Kolonie braucht nicht nur eine Baumhöhle zum Überleben, sondern gleichzeitig 35 bis 40 Wechselquartiere. So vermeidet sie Feinde, Parasiten und regelt die Temperatur in der Höhle. In Naturwäldern gibt es hierfür ausreichend Höhlenbäume.
Volkswirtschaftliche Betrachtung
Sind Naturwälder wirtschaftlich tragbar, oder teurer Luxus?
Wenn Wälder zu nutzungsfreien Zonen erklärt werden, gibt es oft Proteste wegen entgangener Einnahmen durch den Nutzungsverzicht. Tatsächlich ist die Holzernte des Landesbetriebs Hessen-Forst, trotz der neu entstandenen Naturwälder, in den letzten zehn Jahren etwa gleich hoch geblieben. Auch der Vorrat nahm in den letzten zehn Jahren zu. Der Holzzuwachs liegt in Hessen um 10 % höher als die im Staatswald geerntete Holzmenge von 1,97 Mio. m³.
Außerdem muss man berücksichtigen, dass die Forstwirtschaft in Europa mit Ausnahme der skandinavischen Länder eine eher untergeordnete wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung hat. Mögliche Einbußen durch Naturwälder hätten also kaum messbare volkswirtschaftliche Effekte. Gleichzeitig erbringt ein Naturwald zahlreiche, unschätzbar wichtige Ökosystemdienstleistungen (Bodenschutz, Trinkwasser, Klimaschutz, Hochwasserschutz, Erosionsschutz, Artenschutz, Erholung), die der Allgemeinheit zugutekommen.
Kommt es durch Naturwälder zu einem Versorgungsnotstand?
Nein. Auch nach der Stilllegung der Naturwaldflächen bleiben noch 95% der Waldflächen weiterhin wirtschaftlich nutzbar. Auch muss nicht mehr Holz importiert werden, um den Bedarf zu befriedigen. Wir sind sogar weit vom Laubholz-Mangel entfernt. Denn Deutschland ist Netto-Exporteur von Laubholz. 2015 lag der Import von Laubschnittholz bei 402.000 m³, der Export aber bei 684.000 m³. Zudem gibt es noch ein riesiges Einsparpotential bei der Holznutzung, da wir mit dem Rohstoff Holz und Papier bisher noch äußerst verschwenderisch umgehen.
Führen unsere Holz-Importe zur radikalen Abholzungen in anderen Ländern?
Ja, aber nicht durch unsere Naturwälder. Denn importiert wird in erster Linie Nadelholz. Ein vermehrter Einschlag heimischer Buchenwälder würde deshalb nicht zu geringeren Importen aus borealen Nadelwäldern führen. Schon lange kommen Importe aus nicht-nachhaltiger Forstwirtschaft. Die Holzwirtschaft könnte, wenn sie wirklich Skrupel hätte, sofort den Import einstellen – tut sie aber nicht. Das Import-Argument wird also nur verwendet, um Naturwälder in Deutschland zu verhindern. Dabei wäre es eigentlich das beste Vorbild für nicht nachhaltig wirtschaftenden Länder, wenn wir als Wirtschaftsland die Ressource Holz effizient einsetzen und dabei auch die Entwicklung natürlicher Wälder zulassen. Die Probleme der borealen Wälder sind aber auch andere: In Sibirien sind im Sommer 2019 allein 2,8 Millionen Hektar Waldfläche wegen den im Klimawandel zunehmenden Temperaturen abgebrannt, in Alaska 900.000 Hektar.
Die Tropenwaldzerstörung hat wenig mit dem Nutzungsverzicht von Buchenwäldern zu tun: Hauptverursacher sind die Palmöl- und Sojaproduktion und die Viehwirtschaft.
Gefährden Naturwälder Arbeitsplätze?
Manche Forstverbände sagen, 100 Hektar stillgelegter Wald würden den Verlust von 4-6 Arbeitsplätzen bedeuten? Das ist falsch. Dann müssten durch die nutzungsfreien Wälder in Deutschland 8.000-12.000 Arbeitsplätze verloren gegangen sein. Wenn mehr Holz geerntet wird, kann es keinen Verlust von Arbeitsplätzen geben. Außerdem zahlt Hessen jährlich 3,5 Millionen Euro Entschädigungen an den Landesbetrieb Hessen-Forst für den Verzicht auf Holzfällungen in Naturwäldern. Wenn Entschädigungen gezahlt werden, kann niemandem wegen der Schutzgebiete gekündigt werden.
Die erfolgten Stellenstreichungen bei Waldarbeitern kommen nicht durch Naturwälder zustande, sondern durch die Mechanisierung der Holzernte mit bodenzerstörender Schwertechnik. Auch Forstreformen haben dazu geführt, dass die Reviere immer größer wurden.
Manche sagen, die Forstwirtschaft sei volkswirtschaftlich besonders wichtig, weil sie mehr Arbeitsplätze schaffen würde als die Autoindustrie. Dieser Eindruck kann mit dem Cluster „Forst und Holz“ begründet werden. Dieser vereinnahmt aber auch viele Betriebe, die nur indirekt oder in kleinen Sparten auf Holz angewiesen sind. So werden etwa in Hessen 57.000 Arbeitnehmer diesem Cluster zugerechnet. Davon entfallen aber lediglich 5.300 auf das Holzgewerbe. Der große Rest arbeitet im Verlags- und Druck-, Möbel-, Schmuck-, Musikinstrumente-, Sportgeräte-, Spielwaren- oder Papiergewerbe.
Tatsächlich bieten Naturwälder eher Chancen für die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze jenseits von der klassischen Forstwirtschaft. Zum Beispiel durch fachliche und pädagogische Besucherbetreuung, Umweltbildungsangebote, Umweltforschung, Monitoring, Tourismus und Gastronomie. Dies beweisen die Nationalpark-Regionen.
Entwickeln sich in Naturwäldern Käferplagen, die Nachbarwälder befallen?
Nein. Die Naturwälder sind ganz überwiegend Laubwald. Die Borkenkäfer-Massenentwicklungen entstehen aber in Nadelwäldern. Wenn in Naturwäldern einzelne Nadelwaldanteile näher als 500 m von Nachbarwäldern befallen werden, werden die Bäume auch hier aus Forstschutzgründen gefällt.
Geht von Naturwäldern eine größere Waldbrandgefahr aus?
Nein. Waldbrände treten in Laubwäldern sehr viel seltener auf als in Nadelbeständen, die ja in den Naturwäldern nur in geringen Anteilen vorkommen. Große Totholzmengen durch die großen Baumschäden in den trockenen Sommern 2018/19 sind auch vor allem in den fichtenreichen Wirtschaftswäldern entstanden, weniger in den Naturwäldern. Damit geht von Naturwäldern keine größere Gefahr aus. Sollte es zu einem Waldbrand kommen gilt aber auch hier, dass Feuerwehren verhindern werden, dass Feuer auf eine angrenzende Waldfläche übergreift. Dies ist z. B. auch im Nationalpark Kellerwald-Edersee so vorgesehen.
Führen Naturwälder zu höheren Wildbeständen, die dann Nachbarflächen schädigen?
Nein. Bisher wird in allen Naturwäldern gejagt. Nur im Nationalpark Kellerwald-Edersee gibt es auf 40 Prozent der Fläche eine jagdfreie Zone. In sehr großen Naturwäldern (über 1000 Hektar) sollte man aber durchaus auch mal auf die Jagd verzichten und dann im Umfeld die Jagd optimal organisieren. Denn in einer Jagdruhezone verlieren die Tiere die Angst, können ihr normales, tagaktives Verhalten zeigen und werden besser erlebbar für Besucher.
Wälder im Klimawandel
Haben unsere Buchenwälder überhaupt eine Zukunft im Klimawandel?
Ja, sie sind die stabilste Waldform, weil nur sie von Natur aus bei uns wachsen würden. Trockene Buchen sind eine Folge von falscher Forstwirtschaft: Wenn etwa nach radikalen Schirmschlägen Buchen freistehen, das lokale Waldklima zerstört ist und Bäume Sonnenbrand bekommen. Und weil die Befahrung mit Harvestern zu Bodenverdichtungen geführt hat, die nun ein Austrocknen fördern. Und weil unsere Wälder keine vielstufigen Dauerwälder sind, sondern Altersklassenwälder.
Tragen Naturwälder zum Klimaschutz bei?
Ja. In der Holzmasse und im Humus des Waldbodens kann dauerhaft Kohlendioxid angereichert werden. Im Wirtschaftswald hingegen ist die Humusauflage deutlich geringer.
Wird im bewirtschafteten Wald das Holz als Bauholz nicht länger der Atmosphäre entzogen?
Nein. In den hessischen Naturwäldern werden ja Buchenwälder geschützt. Und Buchenholz findet als Bauholz nur wenig Verwendung. Es wird zu über 70 Prozent verbrannt und das Kohlendioxid wird wieder freigesetzt. Überwiegend wird Holz für kurzlebige Produkte verwendet. Für den Klimaschutz ist daher der Erhalt von einigen Naturwäldern sinnvoller als die Baum-Fällung auf der gesamten Waldfläche.
Angesichts von bundesweit allein 744 Millionen Tonnen energiebedingten CO2-Emissionen ist die Bindung von CO2 in verbautem Holz nur ein sehr kleiner Beitrag zum Klimaschutz. Viel effektiver wäre die Vermeidung des CO2-Ausstoßes durch die Abschaltung von Kohlekraftwerken: So setzte das Kraftwerk Neurath in Nordrhein-Westfalen 32 Mio. Tonnen CO2 im Jahr 2015 frei.
Helfen uns Naturwälder bei der Klimaanpassung?
Ja, nur in Naturwäldern kann Naturverjüngung und ein möglicher natürlicher Wandel der Baumartenzusammensetzung studiert werden. Nur hier können wir lernen, welche Baumarten, in welcher Zusammensetzung, auf welchen Standorten unter neuen Klimabedingungen von Natur aus am besten wachsen. Auch die Entwicklung von invasiven Arten kann in Naturwäldern erforscht werden. Diese Erkenntnisse lassen sich dann in bewirtschafteten Wäldern (wo bis zur Ernte etwa 25 mal in einen Wald im Zuge der Forstwirtschaft eingegriffen wird) nicht gewinnen. Denn diese intensive Pflege ist immer auch eine Beeinflussung der natürlichen Prozesse. Naturwälder und vor allem Wildnisgebiete, sind also echte Klimaschutzwälder, in denen wir durch Forschung die Grundlage für die Waldbewirtschaftung von morgen schaffen.