Seit vielen Jahren haben NABU-Aktive Storchenmasten als Nisthilfen aufgestellt, junge Störche beringt und die Bestände kontrolliert - Foto: Bernd Petri
Land Hessen versagt beim Artenschutz
Bilanz der hessischen Biodiversitätsstrategie: Artenschutz
Weiterer Artenrückgang in Hessen
"Im Ergebnis überwiegen die tatsächlichen Verschlechterungen gegenüber den tatsächlichen Verbesserungen" ist das Fazit der hessischen Umweltministerin Priska Hinz in der Antwort auf eine Große Landtagsanfrage der Fraktion „Die Linke“ zur Bilanz der Biodiversitätsstrategie. Statt einer Verbesserung ist in den Jahren seit Verkündung der Nationalen Biodiversitätsstrategie eine weitere Verschlechterung der Situation der meisten Arten in Hessen eingetreten:
In der Zeitspanne von 2007 bis 2019 sind in Hessen drei Brutvogelarten ausgestorben, die Zahl der nach der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie zu schützenden Arten im „ungünstigen Erhaltungszustand“ erhöhte sich. Nur für sechs Arten hat sich die Situation verbessert (Biber, Wildkatze, Äskulapnatter, Steinbeißer, Helm-Azurjungfer, Große Moosjunger).
Der Artenrückgang ist in der Agrarlandschaft besonders sichtbar: Der Bestand von Braunkehlchen, Wiesenpieper und Rebhuhn hat in den letzten 12 Jahren um die Hälfte abgenommen. Kiebitz, Grauammer, Goldammer und Feldlerche um 20 %. Ziel der Nationalen Biodiversitätsstrategie war es, bis 2015 den Flächenanteil naturschutzfachlich wertvoller Agrarbiotope (hochwertiges Grünland, Streuobstwiesen) um mindestens 10 % gegenüber 2005 zu erhöhen. Eine Bewertung kann über den „High-Nature-Value-Farmland-Indikator“ erfolgen. Der Indikator bilanziert den Anteil der Landwirtschaftsflächen mit hohem Naturwert an der gesamten Landwirtschaftsfläche. Dieser fiel jedoch von 16,3 % (2007) auf 15,1 % (2017) ab.
Bis 2020 sollte sich nach der Nationalen Biodiversitätsstrategie für den größten Teil der Rote Liste-Arten die Gefährdungssituation um eine Stufe verbessern. Bei den Pflanzen hat sich von 2008 bis 2019 für 6 % der Sippen eine Verbesserung ergeben, bei den Brutvögeln von 2006 bis 2014 für nur 19 % der Arten.
Mehr gefährdete Arten in Gewässern
Auch in Fließgewässern ging das Artensterben weiter: Von 1998 bis 2016 erhöhte sich die Zahl der in Hessen ausgestorbenen Köcherfliegen von 20 auf 27, die der ausgestorbenen Steinfliegen von 2 auf 5. Immerhin deutlich verbessert hat sich aber die Situation der Fische von 1996 bis 2014: Die Zahl der stark gefährdeten oder vom Aussterben bedrohten Arten sank von 14 auf 6 Arten.
Unzureichender Schutz der Verantwortungsarten
Es gibt Arten, deren Verbreitung in Europa oder in der Welt so begrenzt ist, dass Deutschland eine besondere Verantwortung zum Schutz zukommt. Die Nationale Biodiversitätsstrategie hatte daher das Ziel formuliert, dass diese Arten bis 2020 in eine überlebensfähige Population gebracht werden sollen.
Davon sind wir weit entfernt: Von den 32 für Hessen relevanten Vogelarten sind nur ein Viertel als „günstig“ bewertet, 75 % hingegen als ungünstig. Auch für Verantwortungs-Arten wie die Smaragdeidechse, die Äskulapnatter, der Moorfrosch, die Europäische Sumpfschildkröte und die Bachmuschel wird der Zustand der Population nach wie vor als „ungünstig“ bewertet.
Schlechter Erhaltungszustand der Lebensräume
Laut der Nationalen Biodiversitätsstrategie sollten bis 2020 alle Bestände der Lebensraumtypen gemäß der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie einen gegenüber 2005 signifikant besseren Erhaltungszustand aufweisen. Tatsächlich hat kein einziger FFH-Lebensraumtyp von 2007 bis 2019 seinen Erhaltungszustand um eine Bewertungsstufe verbessert. Die Summe der Lebensraumtypen, die in Hessen einen ungünstigen Erhaltungszustand aufweisen, ist sogar im gleichen Zeitraum von 31 auf 38 angestiegen.
Unzureichendes Schutzgebietsmanagement
Laut der Nationalen Biodiversitätsstrategie sollte bis 2020 ein gut funktionierendes Managementsystem für alle Großschutzgebiete und Natura 2000-Gebiete etabliert sein. Tatsächlich gingen im vergangenen Jahr zwei Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission in die heiße Phase. Eines richtet sich gegen die inhaltsschwache Unterschutzstellung.
So kritisiert die EU, dass die Erhaltungsziele für Arten und Lebensräume zu unkonkret, nicht gebietsspezifisch und nicht quantifiziert sind. Wo keine konkreten Ziele in Zahlen festgelegt sind, kann auch kein Erfolg oder Misserfolg festgestellt werden.
Im zweiten Verfahren prangert die EU Deutschland wegen des Verlustes von artenreichem Grünland an. Auch in Hessen sind etwa Bergmähwiesen in drei Gebieten in Rhön und im Westerwald um über 200 Hektar zurückgegangen. Das Land rechtfertigt sich, die inhaltsarmen Verordnungen zum Schutz europäischer Schutzgebiete könnten ja mit Allgemeinverfügungen oder Einzelanordnungen bei Bedarf konkretisiert werden, z. B. zur Minderung der Störung durch Jagd oder Besucherverkehr. Tatsächlich wurden aber in der Zeit von 2008-2019 nur für acht der 645 europäischen Schutzgebieten solche Regelungen getroffen.
Gute Schritte beim Niedermoorschutz
Laut Nationaler Biodiversitätsstrategie sollte eine natürliche Entwicklung auf 20% der heute extensiv genutzten Niedermoore bis 2020 erreicht werden. Das Ziel wurde bisher nicht in die hessische Strategie übernommen. Die NABU-Stiftung Hessisches Naturerbe hat aber gemeinsam mit dem Land ein Projekt zum Schutz von 60 Niedermooren begonnen.
Die 5 Forderungen des NABU Hessen für einen effektiven Artenschutz
Große Artenschutzoffensive
Um endlich im Artenschutz voranzukommen, braucht es umfassende Artenhilfsprogramme für alle bedrohten Tiere und Pflanzen. Die Programme müssen dafür sorgen, dass ausreichende Möglichkeiten zur ungestörten Fortpflanzung und genug Nahrung zum dauerhaften Überleben vorhanden ist. Wie die Praxis der letzten Jahre zeigt, reichen vereinzelte Artenhilfskonzepte nicht aus. Die Hessische Biodiversitätsstrategie muss um messbare Zielen ergänzt werden.
Landwirtschaft, Forst und Fischerei reformieren
Noch immer gilt nach dem Bundesnaturschutzgesetz, dass die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft „in der Regel nicht den Zielen des Naturschutzes und der Landschaftspflege widerspricht“. Die Regelungen zur „guten fachlichen Praxis“ sind offensichtlich völlig unzureichend und müssen dringend reformiert werden. In der hessischen Agrarförderung muss künftig gelten: Öffentliches Geld gibt es nur für öffentliche Leistungen. Über den Vertragsnaturschutz müssen besondere Naturschutzleistungen honoriert werden.
Klimaschutz voranbringen
Durch den Klimawandel sind in Hessen 234 gefährdete Tier- und Pflanzenarten sowie 31 Lebensraumtypen zusätzlich bedroht. Das Artensterben macht an unseren Grenzen aber nicht halt: Weltweit könnten über 15 % aller Arten aussterben. So bedroht die Klimaerwärmung auch Korallenriffe mit vielen tausend Arten. Daher muss das Land effektive Maßnahmen zum Bremsen der Klimaerwärmung ergreifen. Hierzu gehören auch Programme zum Energiesparen und zur Förderung der Solarenergie auf Hausdächern.
Neue Lebensräume bereitstellen
Da die Natur eine endliche Ressource ist, muss der Landschaftsverbrauch deutlich verringert und mittelfristig gestoppt werden. Stattdessen gilt es, gefährdeten Tieren und Pflanzen neue Lebensräume bereitzustellen. Dafür muss das Land eigene Landesflächen bereitstellen und ein ambitioniertes Ankaufprogramm für weitere Biotope auflegen. Hier spielen Naturwälder und Gewässerrandstreifen eine wichtige Rolle.
Schutzgebiets-Management verbessern
Viele europäische Schutzgebiete sind in einem ungünstigen Erhaltungszustand, ihre Zielsetzungen sind unkonkret und nicht messbar. Das Land muss deshalb die Verordnungen nachschärfen und ein effektives Schutzgebiets-Management etablieren. Dazu gehören wirksame Einschränkungen in der Bewirtschaftung und umfassende Konzepte zur Besucherlenkung. In das Management sind auch die ehrenamtlich tätigen NABU-Schutzgebietsbetreuer mit einzubeziehen.
NABU-Artenschutzprojekte in Hessen
Der Schutz von Tieren und Pflanzen gehört zu den wichtigsten Aktivitäten des NABU Hessen. In zahlreichen Artenschutzprojekten engagieren sich unsere NABU-Aktiven für den Erhalt bedrohter Arten. So gibt es in Hessen unter anderem Artenschutzprojekte für den Weißstorch, den Rotmilan, den Kiebitz, die Goldammer, das Graue Langohr, die Gelbbauchunke und den Biber. Jedes Jahr beteiligen sich unsere NABU-Aktiven mit großem Engagement beim Amphibienschutz entlang der Amphibienzäune und auf Flächen in ganz Hessen. Die Projekte „Schwalbenfreundliches Haus“ und „Fledermausfreundliches Haus“ begeistern Menschen dafür, den Wildtieren auf ihren Grundstücken geeigneten Lebensraum anzubieten. Mitmach- und Meldeaktionen wir die „Große Nussjagd“ helfen uns Einblick in die Verbreitung heimischer Arten wie der Haselmaus zu bekommen. Diese und zahlreiche weitere lokale Projekte tragen dazu bei die Artenvielfalt in Hessen zu erhalten.
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In einem sechsjährigen Projekt hat der NABU Hessen regelmäßig neue Laichgewässer für die Gelbbauchunke angelegt - Foto: Dominik Heinz
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Über die Bestände des Grauen Langohres in Hessen ist kaum etwas bekannt. Das AGFH-Projekt Graues Langohr soll nun Lichts ins Dunkle bringen - Foto: Otto Schäfer
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Amphibienschutz wie der Aufbau und die Betreuung von Krötenzäunen gehört zu den Kerngebieten der Artenschutzarbeit vieler NABU-Gruppen - Foto: Tino Westphal
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Über die Bestimmung der Nagespuren werden bei der Großen Nussjagd Haselmausvorkommen überprüft - Foto: Jan Gräf
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Biberbotschafter sind ehrenamtliche NABU-Biberexperten vor Ort - Foto: Hans Schwarting
Wenn Sie sich für mehr Details interessieren, dann lesen Sie die ausführliche Fassung der „Bilanz der Biodiversitätsstrategie in Hessen: Artenschutz“ in unserem
NABU-Infopapier als PDF(Dieses Dokument basiert auf Antworten aus einer Großen Landtagsanfrage der Landtagsfraktion „Die Linke“ vom 25.3.2021)
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