Hessen braucht mehr geschützte Naturwälder
Bilanz der hessischen Biodiversitätsstrategie: Wälder
Im Wald-Naturschutz hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Seit 2010 gibt es eine Naturschutzleitlinie für den hessischen Staatswald. 2018 wurde nach einem mühsamen Prozess die Zertifizierung des gesamten Staatswaldes nach dem „FSC“-Siegel abgeschlossen, der u.a. wichtige Naturschutzstandards und eine jährliche externe Kontrolle beinhaltet. Laut FSC Deutschland sind in Hessen insgesamt 376.720,4 ha Waldfläche (alle Besitzarten) zertifiziert (Stand 18. Februar 2020). Dies ist der höchste Wert in den Bundesländern und macht einen Anteil von rund 42,1 % der Gesamtwaldfläche des Landes Hessen aus. 2019 wurde nach drei Melde-Tranchen eine Kulisse von 32.000 ha unbewirtschafteten Naturwäldern erreicht. 2020 wurde auch der Nationalpark Kellerwald-Edersee erweitert.
In der neuen Richtlinie für die Bewirtschaftung des Staatswaldes (RiBeS) wurde der Erhalt der Biodiversität als neues Hauptziel aufgenommen. Sie soll erhalten oder ggf. verbessert werden. Flächen mit natürlicher Waldentwicklung sind demnach ein wichtiger Bestandteil zum Erreichen dieses Ziels. Der Arten- und Biotopschutz ist im Staatswald auch ohne besondere rechtliche Vorgaben bei allen forstlichen Planungen und Maßnahmen zu berücksichtigen.
Aber durch den Klimawandel werden die Herausforderungen auch immer größer: Drei trockene Sommer führten zum Absterben von rund 30.000 Hektar Wald in Hessen. Waldbesitzer müssen mehr Bäume aus Sicherheitsgründen fällen oder versuchen, leicht geschwächte Bäume noch schnell zu ernten, bevor durch Absterben ein Wertverlust eintritt.
Unser Kronendachvergleich zwischen Naturwald und aufgelichtetem Wirtschaftswald bei Oppershofen zeigen deutlich: So werden Waldbestände lichter und noch anfälliger für Trockenheit und Sonne – das Sterben geht weiter.
Hessen verfehlt wichtige gesetzte Flächenziele im Waldschutz
5%-Naturwald-Ziel im Gesamtwald nicht erreicht
Ziel der Nationalen Biodiversitätsstrategie war ein Anteil von Wäldern mit natürlicher Entwicklung von 5 % bis zum Jahr 2020. Hessen hat nur 3,9 % erreicht. Es wäre sehr leicht, das Ziel innerhalb kürzester Zeit zu vollenden, denn Hessen gehört nicht nur zu den zwei waldreichsten Bundesländern Deutschlands, sondern es hat es auch mit einem sehr hohen Staatswaldanteil (38 %!) sehr viel leichter als andere Länder, das Naturwald-Ziel zu erfüllen.
Stattdessen setzt das Land nun schon seit 3 Jahren darauf, dass das Ziel mit einem freiwilligen Nutzungsverzicht auf kommunalen und privaten Waldflächen erreicht werden könnte und bietet den Wildnisfonds des Bundes als Finanzierungsmöglichkeit an. Das ist aber eine Scheinlösung, der der verlangt als Mindestfläche eine Naturwaldentwicklung auf 1.000 ha, was für die Kommunen in der Regel zu viel ist.
10%-Naturwald-Ziel im öffentlichen Wald nicht erreicht
Da öffentlicher Wald von Land und Kommunen eine besondere Verantwortung für öffentliche Aufgaben wie den Biodiversitätsschutz hat, hat die Biodiversitätsstrategie das Ziel, im öffentlichen Wald eine natürliche Waldentwicklung auf 10 % der Waldfläche zu erreichen. Das wären in Hessen 67.543 Hektar. Auf den öffentlichen Wald bezogen erreicht Hessen nur etwa die Hälfte.
2%-Wildnis-Ziel nicht erreicht
Als Wildnisflächen gelten Waldflächen, die größer als 1000 ha sind. Davon gibt es in Hessen nur fünf (gesamt rund 11.000 ha). Die Nationale Biodiversitätsstrategie hat als Ziel formuliert, bis 2020 auf 2 % der Landesfläche eine Wildnis-Entwicklung wieder möglich zu machen. Die hessischen Flächen erreichen gerade einmal 0,5 % der Landesfläche.
Wald-Zertifizierungsziel nicht erreicht
Die Nationale Biodiversitätsstrategie hatte das Ziel, 80 % der Waldfläche nach hochwertigen ökologischen Standards zertifizieren zu lassen. Erreicht wurden in Hessen nur 41 %.
Mangelnder Schutz alter Wälder
Die Gesamtfläche der Waldbestände mit einem Alter von über 140 Jahren hat sich in Hessen von 14,1% (2006) auf 16,4% (2020) erhöht. In der erntereifen Altersklasse von 140-159 Jahren hat sich kaum etwas getan (2006: 26.826 Hektar, 2020: 26.122 Hektar).
In noch älteren Wäldern, die vermutlich weitestgehend als Naturwälder geschützt sind, hat sie aber zugenommen: Die Fläche der 180-über 219-jähriger Bäume hat sich insgesamt von 6.042 Hektar (2006) auf 10.756 Hektar (2020) erhöht (für die Veränderungen in den einzelnen Altersklassen siehe Infopapier). Dies ist den ausgewiesenen Naturwäldern zu verdanken.
Allerdings sagt die Statistik nichts darüber aus, wie viele Bäume tatsächlich noch in Altholzbeständen stehen. In bewirtschafteten Wäldern wurden seit vielen Jahren und im besonderen Maße Im Zuge der Trockenheit viele Bäume entnommen und Bestände aufgelichtet, so dass kein kühles, feuchtes Wald-Innenklima mehr herrscht.
Verbissschäden nach wie vor hoch
Ziel der Nationalen Biodiversitätsstrategie ist auch ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Waldverjüngung und Wildbesatz bis 2020.
Tatsächlich haben aber die Schälschäden durch Rothirsche in den meisten Rotwildgebieten die Grenze des Tolerierbaren überschritten. Die Verbissschäden sind in staatlichen Jagdbezirken von 17 % (2006) auf 20 % gestiegen. Dies sind Durchschnittswerte – in vielen Jagdbezirken treten überhöhte Werte auf. Jedes Jahr muss der Landesbetrieb Hessen-Forst etwa 3-5 Millionen Euro für Schutzmaßnahmen gegen Wildschäden aufwenden.
Klimaerwärmung erfordert Konsequenzen
Durch die klimatischen Veränderungen geraten die Wälder in Hessen vermehrt unter Hitze- und Trockenstress. Das Risiko des Absterbens bestimmter Baumarten steigt. Das Land will zur Risikominimierung künftig Mischbestände mit drei bis fünf standortgerechten und vorzugsweise heimischen Baumarten entwickeln.
Die 5 Forderungen des NABU Hessen für einen effektiven Waldschutz
Mehr Wildnisgebiete für Hessen
Das Wildnisziel muss zügig durch die Ausweisung weiterer Wildnisgebiete im Staatswald erreicht werden. Der NABU hat dazu gemeinsam mit einigen anderen Umweltverbänden bereits Vorschläge gemacht. Damit wird dann zugleich auch das Naturwald-Ziel erfüllt. Wildnisgebiete sichern nicht nur langfristig die Artenvielfalt der Wälder. Sie sind auch wichtige Forschungsobjekte, wie die Wälder sich ohne menschlichen Einfluss im Klimawandel entwickeln und anpassen.
Klimaschäden: Vorsorge statt Reparatur
In Reaktion auf die Baumschäden der drei letzten Trockenjahre stellt das Land viel Geld für Aufforstungen zur Verfügung. Was fehlt, ist die Vorsorge, dass das Baumsterben nicht weitergeht, wenn die trockenen Sommer sich fortsetzen. Hierzu muss das Kronendach alter Waldbestände möglichst geschlossen gehalten werden. Geschwächte Bäume mit Trockenschäden dürfen nicht gefällt werden, weil dann rasch die Nachbarbäume vertrocknen. Wälder werden destabilisiert. Der NABU hat deshalb beim Land mit mehreren weiteren Verbänden das Aussetzen von Bucheneinschlägen in alten Waldbeständen eingefordert. Walderhaltung muss Vorrang haben vor der Holznutzung!
Der Waldentwicklung Zeit lassen
Wilder Aktionismus bei der Wiederbewaldung ist unnötig. Durch weitere trockene Sommer können teure Pflanzungen rasch wieder vertrocknen. Daher sollte dem Wald Zeit gegeben werden, sich selbst durch Naturverjüngung neu zu begründen. Die von selbst aufkommenden Bäume sind besser an die neuen Klimabedingungen angepasst. Zunächst entstehende Pionierwälder haben auch viele wichtige Waldfunktionen. Damit Naturverjüngung funktioniert, müssen die Wildbestände angepasst werden.
Naturwälder als Naturschutzgebiete sichern
Die Naturwaldflächen müssen so rasch wie möglich als Naturschutzgebiete gesichert werden. Nur dann ist wirklich dauerhaft gesichert, dass nicht in einigen Jahren die Forstwirtschaft wieder aufgenommen und die älter (und wertvoller) gewordenen Bäume doch gefällt werden. Das Land hat angekündigt, die 40 größten Gebiete (über 100 ha) als Naturschutzgebiete auszuweisen. Dies muss nun endlich umgesetzt werden. Die Gebiete über 50 ha müssen dann folgen.
Mehr Artenschutz im Wirtschaftswald
Im bewirtschafteten Wald müssen mehr Naturschutzstrukturen integriert werden, als Trittsteine für die Wanderung seltener Tier-, Pflanzen- und Pilzarten. Hierzu bedarf es eines Netzes von Altholzinseln und 10 Habitatbäumen pro Hektar. Feuchtwälder müssen erhalten und der Wasserrückhalt verbessert werden. Horstbäume von Greifvögeln oder Schwarzstörchen müssen geschützt und beruhigt werden. Waldränder und Waldwiesen müssen ökologisch aufgewertet werden. Der Anteil an dickem Totholz muss auch im Wirtschaftswald steigen. Im Staatswald müssen sogenannter Methusalembäume, das sind alte, besonders schützenswerte Bäume ab 80 cm Brusthöhendurchmesser sowie besondere Einzelexemplare hohen Alters oder besonderer Wuchsform, dauerhaft erhalten werden. All dies muss in der Neufassung der „Naturschutzleitlinie für den hessischen Staatswald“ berücksichtigt werden.
Wenn Sie sich für mehr Details interessieren, dann lesen Sie die ausführliche Fassung der „Bilanz der Biodiversitätsstrategie in Hessen Teil 2: Wälder“ in unserem
NABU Infopapier als PDF(Dieses Dokument basiert auf Antworten aus einer Großen Landtagsanfrage der Landtagsfraktion „Die Linke“ vom 25.3.2021)
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