Blessgänse haben einen markanten weißen Stirnfleck - Foto: Frank Derer
Überwinternde Gänse am Rhein
Vielstimmiges Naturschauspiel in Südhessen
Wenn man im Winter in den südhessischen Rheinauen zwischen Kühkopf und Trebur spazieren geht, sieht man immer wieder flatternde Vogelbänder am Himmel über den weiten Ackerfluren des hessischen Rieds auf und abgehen. Die Vögel schwingen sich in Scharen auf, ziehen in Ketten- oder Keilformation durch die Luft und lassen sich an anderer Stelle wieder nieder. Wer dabei genau hinhört, vernimmt ein vielstimmiges Schnattern: Die meisten Vögel sind Wildgänse aus dem hohen Norden Europas, die hier den Winter verbringen.
Gäste aus dem hohen Norden
Der NABU-Ornithologe Bernd Petri aus Groß-Gerau und der Vogelkundler Frank Gröhl vom NABU Riedstadt beobachten die gefiederten Gäste seit vielen Jahren. Es handelt sich um verschiedene Gänsearten, die ihre Brutheimat in den Tundrengebieten Nordskandinaviens und Russlands haben. Mit Beginn des Herbstes verlassen sie ihre kalte Heimat und ziehen nach Süden in die wärmeren Gefilde Mitteleuropas.
Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich das Hessische Ried zu einem wichtigen binnenländischen Überwinterungsplatz entwickelt. Im klimabegünstigten Rhein-Main-Gebiet mit seinen milden Wintern fühlen sich die Wildgänse besonders wohl. Die ganze kalte Jahreszeit über sieht man sie dort in Gruppen auf Äckern und Wiesen herum watscheln. Die größte Gruppe bilden die Saatgänse, die mit lautem „gaga“ oder „agagag“ über das Ried streifen. In manchen Jahren können bis zu 6000 der grau gefiederten Wintergäste am Rhein beobachtet werden. Sie gehen auf Wiesen und Getreidefeldern auf Nahrungssuche, wo sie Wurzeln, Getreide, Gräser und Erntereste verzehren.
Ein tolles Naturschauspiel
Zuckerrübenschnitzel und Mais mögen sie besonders gern. Wer genau hinschaut, entdeckt in den Scharen ab und zu auch Blässgänse. Sie sind durch ihr charakteristisches Merkmal, den auffälligen weißen Stirnfleck, gut zu erkennen. Dazu kommen noch Hunderte von Graugänsen, einzelne Zwerg-, Kurzschnabel- und Weißwangen- Gänse sowie die Neubürger Kanada- und Nilgans.
Ein tolles Naturschauspiel bietet sich besonders in den Abendstunden, wenn die laut rufenden Wildgänse in Bändern und Ketten am Abendhimmel in Richtung ihrer Schlafplätze fliegen. Sie übernachten zumeist auf dem Wasser in geschützten Bereichen des Altrheins oder in Kiesgruben. Auf ihrem Weg von den Weide- zu den Schlafplätzen legen sie bis zu zehn und mehr Kilometer zurück. Gute Beobachtungsorte sind der Schusterwörther Altrhein im Naturschutzgebiet „Kühkopf“ und der Rheindamm bei den Wächterstädter Wiesen. Beim Beobachten der wilden Gänse sollte man stets genug Abstand halten, um die Tiere nicht aufzuschrecken. In den äsenden Trupps haben immer einige Vögel die Hälse gereckt und halten Wache.
Europäische Vogelschutzgebiete
Wenn ihnen Menschen zu nahe kommen, geben die Wachttiere Alarm und der ganze Trupp fliegt sofort auf. Das unnötige Auffliegen verschwendet viel Energie und lässt die Fettvorräte der Vögel schrumpfen. Bei häufigem Aufschrecken laufen die Wildgänse deshalb Gefahr, im Frühjahr nicht fit genug für die weite Rückwanderung in die nordischen Brutgebiete zu sein. Ab Ende Februar werden die Gänse vom Zugtrieb gepackt und beginnen die Heimreise in den Norden. Rasch verlassen dann größere Trupps das Ried mit Ziel Tundra und Taiga.
Die Gebiete im Hessischen Ried, in denen sich die Wildgänse überwiegend aufhalten, sind als europäische Vogelschutzgebiete (Natura 2000) ausgewiesen . So ist für den dauerhaften Schutz dieser wichtigen Überwinterungsgebiete für die Gäste aus dem hohen Norden gesorgt. Der NABU bietet im Winter regelmäßig Exkursionen in die Rheinauen an.