Wildkamera mit Prädatorenschutzzaun im Hintergrund - Foto: Maik Sommerhage
Untersuchungen zum Kiebitz in Hessen
Wie kann man dem gefährdeten Wiesenvogel helfen?
Mit den früher häufig anzutreffenden Brutvögeln der Agrarlandschaft geht es seit Jahren bergab. Gründe hierfür sind vor allem Verfolgung, Umweltgifte sowie die Intensivierung der Landwirtschaft. Kiebitz, Feldlerche und Rebhuhn stehen exemplarisch für den dramatischen Rückgang der Feldvögel insgesamt. Der früher weitverbreitete Kiebitz ist heute in Hessen vom Aussterben bedroht und schon lange nicht mehr
in allen Landkreisen Hessens als Brutvogel anzutreffen. Von über 2.000 Paaren Ende der 1980er Jahre
sind derzeit etwa 200 Paare geblieben. Die Schwerpunkte liegen in den süd- und mittelhessischen Niederungen wie Ohmbecken, Wetterau und Hessisches Ried.
Das Projekt „Sympathieträger Kiebitz“
Der NABU hat 2014 ein bundesweites Schutzprojekt für den Kiebitz gestartet. Das Förderprojekt „Der Sympathieträger Kiebitz als Botschafter: Umsetzung eines Artenschutz- Projektes zur Förderung des Kiebitzes in der Agrarlandschaft“ hatte eine Laufzeit von fünf Jahren. Mit zahlreichen Aktivitäten wollten der NABU und seine Partner in mehreren Bundesländern einen Beitrag zum Schutz des Kiebitzes in der Agrarlandschaft leisten. Bis Ende 2018 sollten vor allem Artenschutzmaßnahmen in „normalen“ Agrarlandschaften entwickelt und in verschiedene Förderprogramme integriert werden.
Zusätzlich sollte, das Management für Kiebitze in Schutzgebieten optimiert werden, damit diese zu Populationsquellen (Spenderquellen) für unbesiedelte Bereiche werden. Die Aktivitäten wurden durch eine Öffentlichkeitskampagne begleitet, die den Kiebitz zu einem Botschafter für Biodiversität im Agrarbereich machte.
Im mittelhessischen Landkreis Marburg-Biedenkopf beteiligte sich die NABU-Stiftung Hessisches Naturerbe gemeinsam mit NABU-Aktiven, sowie Mitgliedern der AG Wiesenbrüter-Schutz des Landkreises Marburg-Biedenkopf von 2016 bis 2017 am Kiebitzprojekt. Dabei kam es in beiden Jahren zu einer engen Zusammenarbeit mit dem Fachdienst Agrarförderung und Agrarumwelt und der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Marburg-Biedenkopf.
Kiebitze im Landkreis Marburg-Biedenkopf
Noch Ende der 1960er-Jahre brüteten in Marburg-Biedenkopf rund 250 Kiebitzpaare. In den folgenden Jahrzehnten kam es zu deutlichen Bestandsrückgängen. 2016 und 2017 brüteten Kiebitze nur noch im Bereich des Amöneburger Beckens und seiner Randbereiche sowie im Marburger Lahntal. Das östlich der Stadt Marburg gelegene, 130 Quadratkilometer große, Amöneburger Becken ist eine Talsenke und stellt eine der größten zusammenhängenden Ackerflächen Hessens dar.
Was passierte im Projekt?
In den beiden Projektjahren wurden von Anfang März bis Anfang Juni in wöchentlichen Abständen Kiebitze im Bereich des Untersuchungsgebietes ermittelt und Balzplätze sowie später Brutplätze notiert. Alle Nester wurde markiert und regelmäßig kontrolliert, um den Bruterfolg zu dokumentieren.
Um detaillierte Einblicke in das Brutverhalten der Kiebitze und das Verhalten möglicher Prädatoren zu erhalten, wurden 2016 insgesamt 10 Gelege (davon 6 innerhalb eines Prädatorenschutzzauns zum Schutz unter anderem gegen Waschbären und Füchse) und 2017 insgesamt 9 Gelege mit Wildkameras ausgestattet. Die Kameras wurden, auch nach Absprache mit der zuständigen Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Marburg-Biedenkopf, in jeweils drei Meter Entfernung zu den Gelegen aufgestellt. Es kam zu keinerlei Verlusten durch das Aufstellen der Kameras.
Was zeigten die Erfassungen?
Gegenüber Erkenntnissen aus früheren Jahren haben die Erfassungen in den Jahren 2016 und 2017 gezeigt, dass etwas mehr Paare als erwartet in Marburg-Biedenkopf bzw. im Amöneburger Becken (und Randbereichen) brüten. Im Jahr 2016 waren es 22 Brutpaare, in 2017 konnten 21 Brutpaare nachgewiesen werden. Dennoch ist der Kiebitzbestand recht klein, so dass Schutzmaßnahmen sehr individuell angelegt sein müssen.
Häufig brüteten die Kiebitzpaare auf Maisäckern. Zur Nahrungsaufnahme wurden die benachbarten Feuchtwiesen aufgesucht. Bei allen Maisbruten, die üblicherweise erst nach der Maisaussat begonnen wurden, war die große Nähe zu Feuchtgrünländern als wichtige Nahrungsgebiete zu verzeichnen.
Allein sechs Paare brüteten auf einem kleinen Acker, der 2016 durch einen Elektrozaun geschützt war. Hier schlüpften alle Jungvögel aus ihren Eiern – es kam zu keinen Verlusten. Außerhalb des Zaunes waren von 16 Paaren nur 5 Paare erfolgreich. Mindestens in sechs Fällen wurden die Gelege durch Fressfeinde zerstört. Verursacher waren Waschbär, Mäusebussard, Rohrweihe, Fuchs und Wildschwein.
Bruten konnten in erster Linie dadurch gerettet werden, dass Landwirte über Gelege (insbesondere auf Äckern) informiert wurden und 2016 durch einen Prädatorenschutzzaun. Ohne Schutzzaun ist die Fortpflanzungsziffer mit 0,38 flüggen Jungvögeln pro Paar sehr gering. Die Ergebnisse des Bundesprojekts zum Kiebitz zeigen, dass mindestens 0,8 flugfähige Jungvögel pro Brutpaar großgezogen werden müssen, um den Kiebitzbestand zu erhalten.
Kooperation mit Landwirten
Besonders erfreulich ist: Durch Gespräche mit den Landwirten und Nestermarkierungen kam es zu keinen Gelegeverlusten durch landwirtschaftliche Tätigkeiten. Dies zeigt, wie wichtig der Austausch zwischen Naturschützern und Landwirten ist. Und es zeigte sich, dass die Landwirte gerne einen Beitrag zum Kiebitz- Schutz leisten. Generell ließ sich feststellen, dass die Landwirte interessiert daran waren den Kiebitzschutz zu unterstützen, wenn es wirtschaftlich für sie vertretbar war.
Was ist in Zukunft nötig?
Kiebitze bevorzugen offene Lebensräume mit wenig Gehölzen, niedrigem Bewuchs und einem hohen Grünland und Viehweidenanteil (Feuchtgrünland) bzw. im Herbst auch abgeerntete und bearbeitete große Ackerschläge. Zur Brut werden gerne auch Ackerflächen genutzt, so lange im unmittelbaren Bereich Feuchtgrünland für die Nahrungsaufnahme gegeben ist. Diese Strukturbedürfnisse können in Absprache mit dem Fachdienst Agrarförderung und Agrarumwelt über Fördermöglichkeiten für interessierte Landwirte stärker berücksichtigt werden. Zum Beispiel durch die Anlage von Brachflächen. Wenn sich Gelege auf einer Fläche befinden, soll grundsätzlich versucht werden, den Landwirt für eine verzögerte Maisaussaat (bis die Küken geschlüpft sind) zu gewinnen. Dafür ist natürlich eine angemessene Vergütung notwendig.
Besorgniserregend ist die geringe Fortpflanzungsziffer, die langfristig dazu beitragen könnte, dass die Art auch aus dem Kreisgebiet verschwindet bzw. dort ausstirbt. Daher müssen zeitnah geeignete Maßnahmen ergriffen werden, damit die Bestände des Kiebitzes und weiterer Arten nachhaltig erhalten werden können.
Der Kiebitzbestand im Landkreis Marburg-Biedenkopf wird seit Ablauf des Projekts durch die AG Wiesenbrüter-Schutz in Marburg-Biedenkopf unter Beteiligung des NABU Kreisverbandes weiter betreut.
Mehr Details zum hessischen Kiebitz-Projekt finden Sie im Projektbericht
Noch vor 50 Jahren war der Kiebitz auf den Feldern und Wiesen in Deutschland häufig zu sehen. Heute ist er aus vielen Agrarlandschaften verschwunden und gilt als „stark gefährdet“. Deshalb hat der NABU ein bundesweites Schutzprojekt durchgeführt. Mehr →
Das Michael-Otto-Institut im NABU hat im Rahmen seines Projektes „Sympathieträger Kiebitz“ im Bundesprogramm Biologische Vielfalt ein Praxishandbuch zum Kiebitzschutz erstellt. Mehr →
Die AG Kiebitzschutz des NABU ist ein Zusammenschluss aus lokalen Initiativen, die sich für den Erhalt der Kiebitzbestände in Deutschland einsetzen. Mehr →
Der taubengroße Kiebitz bevorzugt offenes, feuchtes Grünland. Wo dieses fehlt, weicht er auch auf Ackerflächen aus. Mehr →