Eisvogel - Foto: Frank Derer
Warum der hessische Artenschutz Europa braucht
NABU ruft zur Teilnahme an der Europawahl auf
Herr Eppler, Sie rufen als hessischer Landesvorsitzender des NABU energisch zur Teilnahme an der Europawahl auf. Warum? Ist Brüssel nicht weit weg?
Viele Weichen für den Artenschutz werden in Europa gestellt. Gerade hat ein UNO-Bericht bekannt gegeben, dass weltweit 1 Million Arten vom Aussterben bedroht sind. Dagegen erlässt die EU-Kommission Richtlinien, die von den Ländern umgesetzt werden müssen.
Also Brüssel diktiert?
Nein, gar nicht. Ohne Zustimmung der einzelnen Regierungschefs im Europäischen Rat kann die EU-Kommission keine Richtlinie erlassen. Die meisten Entscheidungen werden einstimmig von allen Regierungen verantwortet. Aber die europaweite Umsetzung ist ein Schutz für alle: Die Regeln gelten in der ganzen EU. Somit kann kein anderes Land auf rücksichtslose Ausbeutung der Natur setzen und damit einen Wettbewerbsvorteil erlangen.
Wenn die Regierungen der einzelnen Staaten entscheiden, warum ist dann das EU-Parlament wichtig?
Deutschland hat 96 Abgeordnete im EU-Parlament (von 751). Das Parlament entscheidet über fast alle wichtigen EU-Gesetze mit. Es hat inzwischen mehr Einfluss als früher. Die Bedeutung der einzelnen EU-Abgeordneten ist größer als im Deutschen Bundestag oder im Hessischen Landtag. Denn es gibt bisher in der EU keine festen Regierungskoalitionen mit Fraktionszwang.
Welche hessischen Arten werden von der EU geschützt?
Wir verdanken Europa seit 40 Jahren die Europäische Vogelschutz-Richtlinie. Auf dieser Grundlage wurden in Hessen 60 EU-Vogelschutzgebiete ausgewiesen, die insgesamt 14,7 Prozent des Landes einnehmen. Damit wurden sehr wertvolle Gebiete wie der Kühkopf am Rhein, in der Rhön oder im Vogelsberg gesichert. Es wurden jeweils die 5 wichtigsten Gebiete für seltene Arten, wie Eisvogel, Wanderfalke, Rotmilan, Schwarzstorch oder Blaukehlchen unter Schutz gestellt.
Werden auch Biotope geschützt?
Ja. 1992 wurde eine weitere Naturschutzrichtlinie verabschiedet, die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie. Darin sind viele weitere Tier- und Pflanzenarten und ihre Lebensräume enthalten. Für diese hat Hessen dann sogenannte „FFH-Gebiete“ ausgewiesen. Lebensräume sind zum Beispiel unsere Buchenwälder und artenreiche Mähwiesen. Insgesamt 583 Gebiete machen heute 10 Prozent des Landes aus. Hier muss der „gute Erhaltungszustand“ von Biber, Gelbbauchunke, vielen Schmetterlings-, Libellen, Fledermaus- und Fischarten sichergestellt werden.
Brauchen Fische nicht auch sauberes Wasser, nicht nur Schutzgebiete?
Richtig. Dafür verdanken wir der EU die Wasserrahmen-Richtlinie aus dem Jahr 2000. Sie verpflichtete die Mitgliedsstaaten, alle Gewässer (Bäche, Flüsse, Seen und Grundwasser) bis 2015 in einen guten ökologischen Zustand zu bringen. Das haben die Länder bei weitem noch nicht geschafft, aber der gemeinschaftliche Druck hat zu großen Anstrengungen bei der Gewässerrenaturierung geführt. Jüngstes Beispiel ist das hessische Programm „100 wilde Bäche“.
Was macht die EU, wenn ein Staat sich nicht an die Regeln hält?
Sie kann ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Dann gibt es erst mal kritische Mahnschreiben, irgendwann eine erste Verurteilung vor dem Europäischen Gerichtshof mit einer Galgenfrist. Wenn dann ein zweites Urteil fällt, wird es richtig teuer. Dann kann es Deutschland über 1 Million Euro pro Versäumnistag (rückwirkend zum ersten Urteil) kosten. Dazu ist es bisher noch nie gekommen. Die Staaten setzen dann sehr schnell um. In Polen wurde so gerade die weitere Abholzung im Urwald von Bialowieza verhindert. Solche Verfahren laufen gegen Deutschland derzeit zur unzureichenden Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie und zur Nitrat-Richtlinie.
Nitrat ist ein Stichwort. Die Intensive Landwirtschaft ist derzeit wegen des Insektensterbens in der Kritik. Was kann die EU daran ändern?
In Europa wird über die Agrarpolitik entschieden. 40 Prozent des gesamten EU-Haushalts (58 Milliarden Euro) fließen als Subventionen an die Landwirte. 6,3 Milliarden davon nach Deutschland. Meist erhalten Landwirte etwa ein Drittel ihres Einkommens aus diesen Steuergeldern. Bisher sind diese Gelder zum größten Teil nicht an öffentliche Leistungen geknüpft, sondern werden pro Hektar ausgezahlt.
Mit einer Agrarreform, bei der öffentliches Geld nur für öffentliche Leistungen gezahlt würde, könnte man das Problem von Insektensterben, Vogelsterben und Gewässerverschmutzung sehr leicht deutlich verbessern. Geld sollte dann fließen, wenn weniger Gift gespritzt und weniger Dünger aufgebracht wird, wenn später gemäht wird, oder wenn Felder mit Heckenzügen und Brachen reich strukturiert sind. Dies wäre wohl die wichtigste Stellschraube gegen das Artensterben.
Bedroht nicht auch die Jagd viele Tiere?
Ja, insbesondere Zugvögel. Die ziehen große Distanzen von Nord- nach Südeuropa oder Afrika. Da spielen Grenzen und Nationen keine Rolle. Stellen Sie sich vor, wir machen in Hessen aufwändige Schutzprojekte, um dem Weißstorch zu helfen (es gibt bei uns inzwischen wieder 690 Brutpaare), und auf dem Zug würden sie abgeschossen… Auch hier verdanken wir Europa Regeln zum Schutz von Zugvögeln. So konnte durch die Vogelschutz-Richtlinie in Italien die traditionelle Jagd auf Greif- und Singvögel sehr stark eingedämmt werden. Auch besonders mobile Säugetierarten wie der Wolf, der bis zu 1000 km wandern kann, werden durch Europa geschützt.
Sie nannten faire, gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle als wichtigen Grund für europaweite Regeln. Spricht noch mehr dafür?
Der Wolf ist ein gutes Beispiel. Bei Arten, die auch mal Konflikte verursachen können, dazu gehören auch Luchs und Biber, kochen auf lokaler Ebene schnell mal die Gemüter hoch. Dann heißt es sehr schnell: Bei uns soll der weg, soll er doch woanders geschützt werden. Lokale Politiker wollen sich als Problemlöser präsentieren und schlagen sich schnell auf die Seite derjenigen, die das Tier abschießen wollen. Wenn alle so denken, dann sterben diese Arten aus. Wenn der Schutz auf höherer, europäischer Ebene organisiert wird, ist es leichter, einen kühlen Kopf zu bewahren. Gewisse Belastungen werden fair verteilt: Die einen Länder müssen lernen, mit dem Braunbär zu leben, andere brauchen ein Wolfsmanagement, andere müssen Beschränkungen beim Fischfang akzeptieren.
Sie rufen zur Teilnahme an der Europawahl auf. Wen soll man denn wählen?
Allein schon die Teilnahme ist entscheidend. Wenn durch eine hohe Wahlbeteiligung die rechtspopulistischen Parteien ein geringeres Gewicht bekommen, ist für die Natur schon viel gewonnen. Denn diese lehnen nicht nur den Artenschutz ab, sondern verschärfen durch ihr Ziel der Abschaffung von Umweltstandards noch das Artensterben.
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